Florfliegen und andere Damen – Zu den neuen Arbeiten Sabine Emmerichs

von Detlef Stein 2014

 

In Sabine Emmerichs Werk treten seit den späten 1990er Jahren immer wieder Tiere auf: eine Kolonie brütender Kaiserpinguine in Lebensgröße, ein trottender afrikanischer Elefant – ebenfalls in Lebensgröße! – oder ein überdimensionierter Mistkäfer, der Atemgeräusche von sich gibt. Die Anatomie jener Tiere und – wie bei den Pinguinen - ihr Verhalten in der Gruppe sind Themen, denen die Künstlerin mit ihren Plastiken auf eindrucksvolle Art und Weise räumliche Präsenz verleiht.

 

In ihrer jüngsten Werkgruppe setzt sich Sabine Emmerich mit einer Insektensorte auseinander, die im Alltag kaum unsere Aufmerksamkeit zu erregen vermag, - und wenn doch -, dann eher als lästiger Störenfried. Die Rede ist von der Florfliege.

Auf einem Speiserest sitzend hat eine solche Fliege die Aufmerksamkeit der Künstlerin erregt. Auf der Fensterbank ihres Ateliers fanden sich bald weitere, teils tote Artgenossinnen, die von der Künstlerin weitergehend inspiziert wurden und für einiges  Erstaunen sorgten: durch ein Mikroskop betrachtet präsentierten sich die Florfliegen unerwartet farbenreich und schimmernd, in ihrer Erscheinung geradezu elfenhaft. Bei Sabine Emmerich stellten sich Assoziationen an die gezierten Gestalten von Prinzessinnen ein; auch an vereinzelte Frauendarstellungen aus der Kunstgeschichte fühlte sie sich erinnert. Dieser Faszination verdankt sich die hier vorgestellte Werkgruppe „Florfliegen und andere Damen“.

 

Wie auch schon bei ihren vorherigen Tierplastiken hat Sabine Emmerich für die Realisation der Plastiken Maschendraht als Werkstoff gewählt. Ausgerechnet dieses widerborstige Material ist es, das der Künstlerin ein getreuliches Nachbilden ihrer „Modelle“ ermöglicht. An den Rändern scharfkantig und stechend, letztlich jedoch weich und biegsam hält es die ihm verliehene Gestalt und ermöglicht der Künstlerin Körperformen zu biegen, die später mit Papieren - wie mit einer künstlichen Haut - überzogen werden.

Schließlich werden den geformten Insekten schimmernde Flügel aus Kunststofffolie   hinzugefügt. Auch jetzt noch, lange nach der Fertigstellung der Werkgruppe, sind in Emmerichs Atelier die Materialproben an den Wänden aufgereiht, die ihre Suche nach einem für diesen Zweck geeigneten Werkstoff dokumentieren.

 

Im Ausstellungsraum werden die Plastiken thematisch durch Zeichnungen und Fotografien ergänzt; zudem inszeniert Sabine Emmerich den Ausstellungsraum, setzt gezielte Lichtspots ein, um durch die hervorgebrachten Schatteneffekte eine märchenhafte oder traumartige Atmosphäre zu erzeugen. Gesteigert wird diese noch durch eine leise Sprechstimme, die aus Lautsprechern ertönt. Gesprochene Worte und Satzfetzen wie „als Ziel die Erlösungssehnsucht“, „der Himmel, die Erde“ oder „die Ahnfrau, die Göttin“ hat die Künstlerin einem Buch über Traumdeutung entnommen und erzeugt durch sie auch thematisch einen assoziativen Raum. In ihm sind die Florfliegen mehr als nur eine Insektenart; sie werden zu Bedeutungsträgerinnen, zu märchenhaften Wesen, sie verkörpern eine zerbrechliche Existenz. Auf eine Kugel montiert erinnert eine der Florfliegen an die Darstellungen der Fortuna, wie sie u.a. im Werk Albrecht Dürers vorkommt, und damit an das Glück und auch die Wandelbarkeit des Glücks. Fotografien von den toten Fliegen, die „Sterbenden Prinzessinnen“, stehen im Kontext des Memento mori und verweisen auf die Vergänglichkeit des Lebens.

 

Mit ihrer Werkgruppe hat Sabine Emmerich eine eigenständige Welt geschaffen, in der sie über Anmut und Verfall, über Entstehung und Wandel und auch über die Aufmerksamkeit gegenüber der Natur reflektiert. Zwischen sachlicher Beobachtung und traumhafter Entrückung eröffnet sich ein Raum, in den auch wir Betrachter eintreten dürfen.

 

Detlef Stein